Zur Usurpation geographischer Kompetenzfelder durch die Geologie

Beim meinem letzten Besuch in der Buchhandlung meines bisherigen Vertrauens traute ich meinen Augen nicht: Auf dem Bestseller-Tisch lag ein Werk mit dem Titel „Die großen Geologen“ und darüber abgebildet Alexander-von Humboldt als Cover-Boy! Das war zumindest überraschend, verwunderlich, weil es ein Buch aus der Marixwissen-Reihe der Frankfurter Rundschau war, aber auch ausgesprochen ärgerlich. Denn diese Reklamation eines großen, universalgelehrten Natur- und Geisteswissenschaftlers für eine Disziplin ist kein Versehen oder ein Zufall, sondern vielmehr der vorläufige strategische Höhepunkt einer jungen Entwicklung, bei der die Geologie zunehmend versucht, geographische und andere Kompetenzfelder zu besetzen und gleichzeitig die Geographie zu verdrängen. Längst hat man in der Geologie-Community, die sich gern exklusiv auch als so genannte „harte Geowissenschaft“ bezeichnet, registriert, dass dem Fach die Nachwuchsfelle davonschwimmen. Als eine der Ursachen für diesen Trend wurde, richtig, die Tatsache ausgemacht, dass die Geologie kein Schulfach ist. Das will man ändern. Und so tummeln sich landauf landab Geologinnen und Geologen in geographischen Themenfeldern. Ein Ziel ist dabei das Verdrängen aus bzw. das Ersetzen der Geographie in der Schule. Dabei muss eine solche Konkurrenz gar nicht sein; Kooperation würde hier weiter führen, wie gemeinsame Themenfelder, etwa die Behandlung von GeoParks im Schulunterricht, belegen.

So verbreitet die Geologie, zunehmend auch an Schulen, Neuigkeiten aus ihren jüngsten, vermeintlichen Kompetenzfeldern. Dazu gehören strategisch sehr geschickt ausgewählte, populäre Themen wie der aktuelle „Klimawandel“, den man bislang eher in geologischen Sphären erdgeschichtlicher Kontexte verortet hätte, und neuerdings sogar – man mag es kaum glauben – das Thema „Migration“ – hergeleitet über die These, dass Klimawandel Migrationsströme auslöse und damit Migrationskontexte indirekt zu Themen der Geologie würden.

Dass ein Erschrecken über die genannte Buchcover-Komposition nicht übertrieben ist, zeigt der Umschlagtext des Werkes, wo es heißt: „Geologie, oder simpel: Erdkunde – das ist die spannende Wissenschaft, die …“
Die Geographie ist also gut beraten, wenn sie das Besetzen einiger ihrer traditionellen Kompetenzfelder nicht nur weiter beobachtet, sondern dem Themenabgraben anderer Disziplinen aktiv entgegenwirkt. Das gelingt nur über einen verstärkten Einsatz in der Schule also im Erdkunde- bzw. Geographie-Unterricht. Geographinnen und Geographen dürfen sich nicht in der trügerischen Gewissheit zurücklehnen, dass ihr die Schule als Nachwuchslieferant sicher sei. Aktiv müssen wir uns, etwa durch Vorträge und Fortbildungen, dafür einsetzen, schon Schülerinnen und Schülern, damit den Lehrkräften und jeweiligen Schul- und Rektoratsleitungen mit dem Ziel der Einflussnahme auf Curricula-Planungen der Kulturministerien klarzumachen, „was die Geographie drauf hat“. Die Geographie hat zwei äußerst wirksame Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchsgenerierung, nämlich die Geographischen Gesellschaften und das Schulfach Geographie. Diese zarten Pflänzchen gilt es in Zeiten des fachpolitischen Klimawandels zu pflegen.

Prof. Dr. Andreas Dittmann, Universität Gießen

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